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«Es reicht nicht aus, den Flüchtlingen nur ein Dach über dem Kopf zu geben.»

Der Krieg in der Ukraine tritt für viele im Westen vielleicht bereits wieder etwas in den Hintergrund. In den Ländern nahe der Ukraine kommen aber immer noch weitere Flüchtlinge an. Wichtigste Aufgabe ist es vielerorts, diesen einen eigenen Zugang zu und Platz in der jeweiligen Gesellschaft zu ermöglichen.
 
Jana Krizova vergleicht die aktuellen Herausforderungen in der Arbeit mit den Flüchtlingen mit Menschen, die sich verlieben. «Nach einer Zeit der ersten Begeisterung muss nun eine festere Beziehung mit einer längerfristigen Perspektive aufgebaut werden.» Die methodistische Pfarrerin koordiniert die Hilfsaktionen für ukrainische Flüchtlinge der EMK in Tschechien.

 Zugleich stelle sich bei den Helferinnen und Helfern, die in der Zeit seit Kriegsbeginn Woche für Woche Dutzende von Menschen aufgenommen haben, eine gewisse Müdigkeit ein, berichtet László Khaled, methodistischer Superintendent in Ungarn.
 
Die Koordinatorinnen und Koordinatoren der methodistischen Arbeit für ukrainische Flüchtlinge in den direkt oder indirekt an die Ukraine angrenzenden Ländern berichteten am vergangenen Mittwoch in einem Online-Meeting aus ihrer Arbeit.
So haben Männer und Frauen der EMK an verschiedenen Orten Aktivitäten speziell für die ukrainische Bevölkerung entwickelt und durchgeführt. Es gibt beispielsweise Sprachkurse in Tschechien, Bulgarien und Polen. Oder eine Begegnungsstätte für ukrainische Kinder und ihre Mütter in Protivin (Tschechien). In Dobritsch (Bulgarien) wird an einer Schule eine neurographische Kunsttherapie angeboten. In Schumen (Bulgarien) wird das von den dortigen methodistischen Verantwortlichen eingerichtete Sozialzentrum für Flüchtlinge täglich von mehr als 20 Personen besucht.
 
Die Verantwortlichen der EMK in Rumänien wollen nicht in erster Linie separate ukrainische Gemeinschaften aufbauen, sondern die neuen ukrainischen «Freunde» einladen, Teil einer nachhaltigen, vielfältigen Gemeinschaft zu werden. Sarah Putman, Koordinatorin in Rumänien, berichtet beispielhaft von einer krebskranken Frau aus der Ukraine, die im methodistischen Gemeindezentrum in Cluj-Napoca aufgenommen worden ist. Im selben Gebäude leitet ein Mitglied der EMK die Arbeit einer gemeinnützigen Organisation, die rumänische Krebspatientinnen begleitet. Die ukrainische Frau wird so nicht nur die Hilfe erhalten, die sie braucht, sondern auch Teil einer tragfähigen Gemeinschaft sein.
 
In Cluj-Napoca, Rumänien, nehmen zudem bis zu 20 ukrainische Flüchtlinge regelmässig an den Gottesdiensten der EMK teil. «Sie haben begonnen, Bibelstellen auf Ukrainisch zu lesen, damit die Gottesdienstbesucher das Wort in der Sprache ihres Herzens hören können», erzählt Sarah Putman. In Prag, Tschechien, würden Flüchtlinge, die an einem Gottesdienst teilnehmen möchten, in der Regel an die dortige russischsprachige EMK-Gemeinde in Prag verwiesen, sagt Jana Krizova. Die Mehrheit der zu dieser Gemeinde gehörenden Personen hat ukrainische Wurzeln.
 
Einhellig unterstreichen die verantwortlichen Personen der EMK, die Flüchtlinge seien keine «Missionsobjekte». Jana Krizova etwa betont, die schwierige und schmerzhafte Situation, in der sich die Flüchtlinge befinden, dürfe nicht missbraucht werden. «Es ist sehr einfach, Menschen in Not zu manipulieren. Deshalb dürfen Flüchtlinge nicht zu einer Entscheidung über ihren Glauben gedrängt werden.»
 
Doch für viele ukrainische Flüchtlinge ist der Glaube auch eine wichtige Ressource. Beispielhaft erzählt László Khaled aus Ungarn die Geschichte einer ukrainischen Familie, die pünktlich zum Beginn des Gottesdienstes am Ziel ihrer Reise angekommen war. «Die Gemeindemitglieder fragten sie, was sie ihren Gästen mitgeben könnten: Essen, Kleidung, Schuhe und so weiter. Aber die ukrainische Familie antwortete: ‹Wir brauchen nichts. Wir brauchen nur einen Gottesdienst.›»
 
Szarlota Kaminska aus Polen erzählt von einer ganz anderen Form der Zusammenarbeit zwischen ukrainischen Flüchtlingen und einer Ortsgemeinde: «Ukrainische Flüchtlinge haben in den vergangenen Wochen bei der Vorbereitung von Hilfstransporten in die Ukraine mitgeholfen und konnten so selbst zu den Hilfsaktionen für ihre Landsleute in der Heimat beitragen.»
 
«Wenn unsere Hilfe wirklich wirksam sein soll, reicht es nicht aus, den Flüchtlingen nur ein Dach über dem Kopf zu geben», schreibt Karel Nyerges, Direktor des methodistischen Diakoniewerks in Tschechien, in einem Rundschreiben. «Es braucht ein Team von Menschen, die sich um die wichtigen administrativen und sozialen Belange kümmern und auch als feste Kontaktstelle zwischen den Flüchtlingen in unseren Einrichtungen und unserer Gesellschaft dienen.» Ihm zufolge besteht das Ziel ihres Wirkens darin, Arbeit und Wohnraum für Menschen aus der Ukraine zu finden und ihnen die Möglichkeit zu geben, mit psychologischen Fachpersonen oder anderen Trauma-Spezialistinnen und -Spezialisten zu sprechen, damit sie dann ihr Leben ohne Unter­stützung des Diakoniewerks leben können.
 
Die von Jana Krizova beschriebene Aufgabe, Beziehungen mit einer längerfristigen Perspektive aufzubauen, ist herausfordernd. Methodistinnen und Methodisten engagieren sich an vielen Orten in Zusammenarbeit mit anderen Helferinnen und Helfern vor Ort und mit Unterstützung aus dem weltweiten methodistischen Netzwerk, dass dieser wichtige Prozess möglichst gut gelingt.
 
Urs Schweizer, Assistent von Bischof Patrick Streiff, Zürich / Sigmar Friedrich, Zürich