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Ein Wagnis im Namen Gottes

Die Diakonie Bethanien in Zürich (Schweiz) feierte im Sommer 2022 ihr 111-jähriges Bestehen. Dass ihre Segensspuren weit über die Schweiz hinaus reichen, daran erinnert Christina Cekov aus Nord-Mazedonien in einer kürzlich publizierten Broschüre über das «Betania» in Novi Sad (Serbien).
 
1929 schrieb der für die damalige methodistische Arbeit in Serbien zuständige Missions-Superintendent Johannes Jacob: «Soziales Werk ist angewandtes Christentum. Wer meint, er könne heute bloss das Evangelium predigen, ohne auch zur Linderung der Not und des Elends der Menschen beizutragen, der ist offenbar im Irrtum. Jesus half jedermann, der zu Ihm kam und auch heute noch will Er helfen in aller Not. Darum darf ich auch diese Konferenz bitten, eine grössere Aufmerksamkeit der sozialen Arbeit zu schenken.»
 
Jacobs Appell basierte darauf, dass am Anfang des 20. Jahrhunderts der Fokus der kirchlichen Arbeit vor allem auf der Evangelisation ruhte, während sozialdiakonische Aktivitäten von untergeordneter Priorität waren. Erst Dr. Samuel Irwin, Superintendent der Bischöflichen Methodistenkirche in Jugoslawien von 1919 bis 1924, und später auch der bereits genannte Superintendent Jacob steuerten diesem Trend entgegen, indem sie zusammen mit anderen Pastoren und Laien diverse sozialdiakonische Projekte realisierten.
 
1920 kaufte die weltweite Missionsbehörde der Bischöflichen Methodistenkirche in Serbien ein stattliches Gebäude mit einem grossen Grundstück. Dieses Gebäude diente zunächst als Zuhause für Superintendent Irwin, der 1921 zusammen mit seiner Frau in einem Nebengebäude eine Unterkunft für Mädchen aus benachteiligten Familien, das sogenannte «Töchterinstitut», einrichtete. Kurz danach wurde ausserdem eine Schule eröffnet, in der Mädchen aus der ganzen Stadt neben den Regelfächern einer normalen Mittelschule zum Beispiel Fremdsprachen, Religionskunde, Haushaltsführung und Krankenpflege erlernen konnten. Gleichzeitig wurde ihnen auch eine klare christliche Lebensauffassung vermittelt. 1929 aber musste die Schule ihre Pforten schliessen, da sie in finanziellen Schwierigkeiten geraten war. Nur das Mädchenpensionat für Mädchen, welche die städtischen Schulen besuchten, blieb weiterhin bestehen.
 
1932 wurde, nachdem die Jährliche Konferenz entschieden hatte, ein Diakonissenwerk in der ehemaligen Schule zu gründen, das Gebäude an acht Diakonissen übergeben, die das immer noch bestehende Mädchenpensionat weiterführten. Die Leitung der Schwesternschaft oblag Sr. Luise Simon, die einige Zeit zuvor im Diakonissenhaus Bethanien in Zürich eine Ausbildung zur Krankenschwester absolviert hatte. 1934 erhielten sie und der damalige Superintendent von der Jährlichen Konferenz den Auftrag, das Gebäude in ein Sanatorium umzuwandeln. Der Bethanienverein in Zürich entschied sich auf Anfrage dazu, das Werk zu übernehmen und den Umbau zu finanzieren. Im Jahresbericht von 1935 hiess es damals: «Missionsarbeit in Jugoslawien ist unserer Kirche ans Herz gelegt worden. Wir boten Hand dazu, dass für die meist bei uns ausgebildeten Schwestern das frühere Institutsgebäude in ein kleines schmuckes Sanatorium mit 15 Krankenbetten umgewandelt wurde.»
 
Der Umbau dauerte ein halbes Jahr und war erheblich teurer als ursprünglich gedacht. Trotzdem konnte im November 1935 die Einweihung des Sanatoriums, in dem sich fortan ein Neurologe und ein Facharzt für Innere Medizin als leitende Ärzte um die Patienten kümmerten, gefeiert werden. Sr. Huldy Lerch, die vom Diakonissenwerk Bethanien in Zürich nach Jugoslawien gesandt wurde, schrieb im Zusammenhang mit der Einweihung: «Es war ein ‘Wagnis im Namen Gottes’. Bethanien haben wir unser Haus genannt – ein Ort an dem Jesus gerne weilte.»
 
Innert kürzester Zeit erwarb das Sanatorium, in dem sich arme Menschen sowie Pastoren und deren Familien umsonst behandeln lassen konnten, einen ausgezeichneten Ruf. Schon wenige Jahre nach der Einweihung konnte als Folge davon zusätzlich noch eine chirurgische Abteilung eröffnet werden.
 
Die Diakonissen unterhielten neben dem Sanatorium auch ein kleines Altersheim für betagte Frauen, welches 1944 aufgrund der Bombardierung von Novi Sad ins Pastorenhaus der Methodistenkirche in Vrbas und später nach Kisač verlegt wurde. Ausserdem arbeiteten die Diakonissen auch in einem Waisenhaus in Srbobran, sie halfen beim Predigen und bei der Büroarbeit und wurden so zu einer grossen Stütze der Methodistenkirche in Jugoslawien.
 
Nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges konnte die Arbeit im «Betania» zunächst fast wie gewohnt fortgeführt werden. Erst im Oktober 1944, als das Gebiet, auf dem das Sanatorium stand, zurück an Jugoslawien fiel, kam es zu Veränderungen. Im Dezember 1944 wurde das Gebäude von der Jugoslawischen Armee übernommen, welche darin eine Abteilung für an Tuberkulose erkrankte Menschen einrichtete. Die einzigen zwei Schwestern, die bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht ins Ausland geflohen waren, mussten dort während mehrerer Jahre unentgeltliche Arbeit leisten. 1948 wurde ein Gesetz zur Enteignung von privaten wirtschaftlichen Unternehmen so modifiziert, dass das ehemalige «Betania» inklusive Grundstück in den Besitz Jugoslawiens überging. Aufgrund einer Entschädigungszahlung von 6000 USD im Jahr 1972 an die weltweite methodistische Missionsbehörde gab es später auch keine rechtliche Möglichkeit mehr, das Gebäude und das Grundstück im Rahmen der Restitution zurückzubekommen. Bis 1960 blieb das ehemalige «Betania» eine Einrichtung für Menschen mit Tuberkulose- und Lungenerkrankungen, danach wurde das alte Gebäude abgerissen und an derselben Stelle eine Gynäkologische Klinik gebaut, deren heutiger Name «Betanija» ist.
 
Christina Cekov schreibt im Schlusswort ihrer Broschüre: «Das kleine, bescheidene Patenkind des grossen Bethanien in Zürich hat Segensspuren hinterlassen, die bis heute spürbar sind. Wir sind dankbar, dass es das ‘Betania’ in Novi Sad gab. Wir sind dankbar für die beeindruckende Arbeit der Diakonissen und wir sind dankbar für das grosse Bethanien in der Schweiz», welches «das kleine ‘Betania’ erst möglich gemacht hat.»
 
Interessierte können die Broschüre, deren Publikation von der Diakonie Bethanien finanziert wurde, kostenlos im Sekretariat des Bischofs in Zürich bestellen (urs.schweizer@umc-cse.org, +41-44-299 30 60).
 
Quelle: «Das ‘Betania’ in Novi Sad» von Christina Cekov, Strumica
Autorin: Nina Schweizer