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Kirche anders in Polen

Es gibt nicht viele methodistische Kirchengebäude, die schon mehr als 600 Jahre alt sind. Aber in Glaznoty, einem Dorf in Nordpolen, steht ein solches. Und es ist nicht einfach nur ein historisches Gebäude, sondern auch ein Ort, wo neue Ausdrucksformen von Kirche erfahren werden können.
 
Die Kirche von Glaznoty war im 14. Jahrhundert mit Feldsteinen erbaut worden. Bis 1945 wurde das Gebäude durch die Evangelische Kirche der Alt-Preussischen Union genutzt, die mit dem Fall des Dritten Reiches aber die gesetzliche Daseinsberechtigung in Polen verlor. Im selben Jahr übernahmen deshalb methodistische Pfarrer die Arbeit in Glaznoty. 1971 wurde das Gebäude in den Besitz der Evangelisch-methodistischen Kirche (EMK) überführt, die damals dessen einzige Nutzerin war. In den folgenden Jahren entwickelte sich die Gemeinde sehr positiv und wies eine erfreuliche Grösse auf. Vor gut 30 Jahren wanderten aber viele Familien nach Deutschland und in andere Länder aus. Die Zahl der Gemeindeglieder schrumpfte stark, sodass 1989 schweren Herzens beschlossen wurde, die methodistische Arbeit in Glaznoty zu beenden. Das Gebäude blieb allerdings im Besitz der EMK.
 
Als das Gebäude vor 25 Jahren durch einen Sturm schwer beschädigt wurde, spendeten viele Menschen in Polen und auch im Ausland Geld, um das historische Gebäude wieder in Stand zu setzen, obwohl damals nicht viele Aktivitäten in dieser Kirche stattfanden. Heute lebt denn auch nur noch eine Person in Glaznoty, die in dieser Kirche getauft und konfirmiert wurde.
 
2015 erhielt Krzysztof Kopacz, damals und auch heute noch Pastor der EMK-Gemeinde Ilawa, eine zusätzliche Dienstzuweisung nach Glaznoty. Er nahm mit der Bürgermeisterin Kontakt auf, und gemeinsam begannen sie nachzudenken, wie die Kirche mit neuem Leben gefüllt werden könnte. Weil die Gegend schon seit Jahrhunderten für ihre Feldsteine bekannt ist, beschlossen die beiden, einen «Kultur-Steinkreis» vor der Kirche zu schaffen.
 
Seit vier Jahren organisieren sie nun jeweils im Juli ein Kunst-Festival, an dem Skulpturen und Gemälde ausgestellt werden. Diesem Festival folgt im September eine grosse Veranstaltung, an der die Künstlerinnen und Künstler anwesend sind, und an der die Kirche in einen Ausstellungsraum verwandelt wird. Gemälde, die Motive der Gegend, die historische Kirche und auch die wunderbare Natur in der Umgebung zeigen, laden jeweils zum Staunen und Verweilen ein.
 
Es sind jedes Jahr mindestens 1'000 Personen, welche die Kirche besuchen – Bewohnerinnen und Bewohner der umliegenden Dörfer, Schülerinnen und Schüler nahegelegener Schulen, Gäste aus ganz Polen und aus dem Ausland. Auch die berühmten Weihnachtskonzerte und Erntedankfeste ziehen viele Menschen an. Wegen seiner einzigartigen Lage dient das Gebäude auch regelmässig als Hochzeitskirche. Pastor Krzysztof Kopacz ist an all diesen Veranstaltungen nicht einfach nur ein Fremdenführer, der den Besucherinnen und Besuchern von der Geschichte der Kirche erzählt. Er nutzt die Gelegenheit auch, um über Glauben, Hoffnung und Liebe zu sprechen. Als Folge davon sind schon mehrmals Personen, mit denen er ein Gespräch führen konnte, später plötzlich in einem Gottesdienst der 35 km entfernten EMK-Gemeinde Ilawa wieder aufgetaucht. 
 
Es ist eine enorme Herausforderung, ein solches historisches Gebäude samt dem sich gleich nebenan befindenden Friedhof zu unterhalten. Pastor Krzysztof Kopacz investiert denn auch viel Zeit und Kraft in diese Dienstzuweisung – gerade in diesen Tagen bereitet er mit einem Denkmalschützer ein Projekt vor, das der EMK ermöglichen wird, staatliche Unterstützung für Renovationsarbeiten beantragen zu können, die für die Erhaltung der Kirche dringend notwendig sind. 
 
Aber so schön und historisch wertvoll die Kirche auch sein mag: Es geht Pastor Krzysztof Kopacz nicht in erster Linie um die Konservierung eines Gebäudes mit Feldstein-Mauerwerk, sondern darum, dass Menschen Gott begegnen und durch diese Begegnung ermutigt, verändert und beflügelt werden. Und manchmal braucht es eben neue Formen von Kirche, um die Herzen dieser Menschen zu erreichen. Wie zum Beispiel das Kunst-Festival, das heute, am 3. Juli 2019, beginnt.
 
Quelle: Pastor Krzysztof Kopacz, Ilawa / Urs Schweizer, Zürich