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Zuflucht in der ehemaligen Festung

Was im 14. Jahrhundert mit einer hölzernen Festung und einem Bauernhof begann, hat sich zu einer wichtigen Zufluchtsstätte am östlichen Rand der tschechischen Hauptstadt Prag entwickelt: das Zentrum für christliche Hilfe in Horni Pocernice.
 
Nur schon das Gebäude hat eine bewegte Geschichte: Dort, wo früher eine Holzfestung und ein Bauernhof waren, wurde 1812 ein Herrenhaus gebaut. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gehörte dieses einer italienischen Gräfin. Dann wurde es von einem Verein übernommen, der sich zwischen 1927 und 1947 um Waisenkinder und alte Menschen kümmerte. Mit Hilfe amerikanischer Methodisten konnte das Grundstück von der EMK in der damaligen Tschechoslowakei gekauft werden – allerdings wurde es dann 1958 verstaatlicht. Erst 1997 erhielt die Kirche das Gebäude zurück, und seit 1999 befindet sich dort das Zentrum für christliche Hilfe, das mit seinen 84 Betten – ganz in der Tradition der früheren Arbeit stehend – Menschen in Notsituationen Zuflucht bietet.
 
Junge, schwangere Frauen, alleinerziehende Mütter und Väter, aber auch bis zu achtköpfige Familien können dort für maximal ein Jahr eine temporäre Bleibe finden, begleitet von Fachleuten aus unterschiedlichen Bereichen. Zwei besondere Programme sind einerseits der «Lese-Club», der Kinder und Erwachsene ermutigen will, durch die Beschäftigung mit altersgerechter Literatur Wissen, Wortschatz und Vorstellungskraft zu erweitern. Andererseits gibt es Englisch-Unterricht für Kinder, bei dem nicht nur Wörter gepaukt werden, sondern der auch Malen, Zeichnen und Kochen umfasst.
 
Was dieses Zentrum für einzelne Menschen bedeutet, mag das Beispiel von Monika zeigen. Als sie 11 Jahre alt war, verliess ihr Vater die Familie. Drei Jahre später fand ihre Mutter einen neuen Mann und liess Monika in der Obhut ihrer 16-jährigen Schwester. Es war eine schwierige Zeit für die beiden jungen Mädchen ohne einen Elternteil, der ihren Weg mit ihnen ging. Monikas Schwester begann, mit Drogen zu experimentieren, und Monika wurde schwanger. Auf der Suche nach Unterstützung ging Monika zu ihrer Mutter und deren Freund. Aber es war ein schlechtes Umfeld für sie. Der Freund war aggressiv gegenüber Monikas Mutter. Aus Angst nahm Monika ihr Baby und zog in ein Landhaus. Dort lebte sie zwei Jahre lang und zog ihr Kleines allein auf, da der Vater des Babys kein Interesse an seinem Kind hatte und keine Unterstützung bot. Dann lernte Monika einen Mann kennen, der mit ihr und dem Baby nach Prag zog. Bald darauf hatten sie ein gemeinsames Baby.
 
Monikas Mann ging zwar einer Arbeit nach, war aber trotzdem hoch verschuldet und zahlte die Miete für die Wohnung nicht. Eines Tages kam Monika nach Hause und fand sich ausgesperrt. Da sie nirgendwo hingehen konnte, fand sie über Umwege das Zentrum für christliche Hilfe für Eltern mit Kindern, die ohne Hilfe nicht leben können. Monika war eine typische Bewohnerin: eine Frau, die sich durch zerbrechliche Umstände gekämpft hatte und für sich und ihre Kinder einen festen Boden suchte. Sie fand hier einen nährenden Ort und einen Ort, der ihr Hoffnung gab, weiterzumachen. Einen Ort, an dem sie Lösungen für ihre Probleme finden, den Verlust ihres Partners betrauern und lernen konnte, unabhängig zu leben. Zu diesem Zeitpunkt waren Monikas Kinder sieben und zwei Jahre alt. Sie gewöhnten sich an ihr neues Gruppenheim und lebten dort sieben Monate lang. Monika arbeitete in verschiedenen Bereichen – und sie tat es so gut, dass der Zentrumsleiter sie bat, auch nach ihrem Wohnjahr als Mitarbeiterin zu bleiben.
 
Zurzeit beendet Monika gerade ihr Studium in Sozialarbeit an der Karls-Universität in Prag, und daneben arbeitet sie als Sozialarbeiterin im Zentrum. Sie hat ihre eigene Fall-Liste mit Familien, denen sie hilft, ihre Probleme zu lösen und ihr Leben wieder auf Kurs zu bringen. Sie koordiniert Gruppentherapien, erstellt Einschätzungen und massgeschneiderte Pläne, sorgt dafür, dass die Pläne umgesetzt werden, und stellt die Verbindung zu den staatlichen Behörden her. Ausserdem koordiniert sie die Aktivitäten für die Kinderprogramme, wofür sie eine natürliche Begabung hat.
 
Was sie selber empfangen hat, gibt sie nun mit aller Kraft zurück, und sie hat dadurch einen segensreichen Einfluss auf das Leben von Menschen, in deren Schuhe sie auch schon gegangen ist.
 
Quelle: Susan Goldberg (USA), Barbara Woodard (USA), Urs Schweizer, Assistent des Bischofs, Zürich