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Wenn die Armen, was sie haben, noch verteilen

Viele Menschen, die in ländlichen und teils sehr abgelegenen Dörfern Albaniens wohnen, sehen für sich keinen anderen Weg als abzuwandern und an einem anderen Ort neu zu beginnen, wo die Zukunftsperspektiven besser sind. Die Evangelisch-methodistische Kirche (EMK) in Albanien hat in mehreren Städten des Landes offene Türen für diese Menschen. Sie versucht aber auch, sich jenen zuzuwenden, die in ihrer Heimat bleiben möchten.
 
Das im Bezirk Velçan gelegene Dorf Buzahishtë hat in den letzten Jahren eine ähnliche Entwicklung durchgemacht wie so viele andere Dörfer in den Mokra-Bergen: Wegen fehlender Investitionen in die Infrastruktur und daraus resultierender sozialer und finanzieller Probleme sind viele Menschen abgewandert – entweder in die grösseren Städte des Landes oder gleich ins Ausland, wo sie sich bessere Verdienstmöglichkeiten und Zukunftschancen erhoffen. Die zurückbleibenden Menschen arbeiten zwar hart, schaffen es jedoch nicht, die Armut zu besiegen. Die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie und des Kriegs in der Ukraine haben diese Situation noch verschärft.
 
Letztes Jahr kam unter den Verantwortlichen in Albanien die Idee auf, mit einem Agrarprojekt eine Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Situation zu erzielen und die in dieses Projekt involvierten Familien zu stärken – dies parallel zur geistlichen Arbeit, die in der seit 2020 existierenden, sehr lebendigen EMK-Gemeinde geschieht. Neun Familien konnten Heilkräuter und Bohnen pflanzen. Weitere zehn Familien erhielten dank der Unterstützung von Connexio develop, der Organisation für Entwicklungszusammenarbeit der EMK in der Schweiz, je 300 kg hochwertiger Saatkartoffeln, um damit eine Fläche von jeweils 1'000 m2 anzubauen. Die Projektbeteiligten verpflichteten sich, von der ersten Ernte wiederum rund 300 kg an andere Familien zu verschenken, damit diese im Folgejahr ebenfalls in den Kartoffel-Anbau einsteigen können. Es wird allerdings nötig sein, für alle Projektbeteiligten zusätzlich zu den zurückgelegten Kartoffeln nochmals je 300 kg hochwertiges Saatgut zuzukaufen. Im ersten Jahr konnten durch dieses Projekt die Lebensbedingungen von rund 100 Personen verbessert werden. Das Ziel besteht darin, dass diese Zahl im Jahr 2023 noch grösser ist.
 
Das Projektmanagement war von beeindruckender Qualität, und es gab eine sehr gute und gerechte Verteilung der Saatkartoffeln. Die mit viel Fleiss und Freude geleistete Arbeit resultierte in einer erfreulich guten Ernte, deren Einbringung wie auch deren Verkauf in einer gemeinschaftlich organisierten Form erfolgte. Und dann geschah etwas Besonderes: Einerseits wurde, wie geplant, ein Teil der Ernte beiseitegelegt, um ihn an andere Familien zu verschenken. Darüber hinaus beschlossen die Projektbeteiligten aber auch, 80 kg Kartoffeln dem Miss Stone-Zentrum in Strumica abzugeben, damit sie dort im Rahmen des Programms «Essen auf Rädern» zu einer Mahlzeit für bedürftige Menschen verarbeitet werden konnten. In jüngster Vergangenheit hatten sich die Beziehungen zwischen dieser diakonischen Einrichtung der EMK in Nord-Mazedonien und der EMK in Albanien vertieft, und es hatte gegenseitige Besuche gegeben.
 
Natürlich kann man sagen: Und jetzt? Was sind schon 80 kg Kartoffeln? Doch das wäre eine Geringschätzung dessen, was der deutsche EmK-Pastor Hartmut Handt in einem Liedtext so beschrieb: «Wenn die Armen, was sie haben, noch verteilen, wenn der Durst’ge Wasser schöpft und andern gibt, wenn wir schwach sind und doch Andre mutig stärken, wissen wir: Gott ist bei uns auf diesem Weg.» Sie haben selber kaum genug zum Leben, und trotzdem dachten die Projektbeteiligten in den albanischen Mokra-Bergen in diesem Moment an alte und in vielen Fällen sehr einsame Menschen im Nachbarland. Sie teilten vom Wenigen, das sie haben, und setzten damit ein starkes Zeichen grenzüberschreitender Verbundenheit, Liebe und Hoffnung.
 
Quelle: Wilfried + Jean Nausner, Albanien / Urs Schweizer, Zürich