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Mehr als Warten auf bessere Tage

Das Coronavirus hat immer noch grossen Einfluss auf das öffentliche und gesellschaftliche Leben in Europa. Die EMK in der Zentralkonferenz von Mittel- und Südeuropa steht vor zahlreichen Herausforderungen - aber gleichzeitig versucht die Kirche auch kreativ und in grosser Treue, mehr zu tun, als nur auf bessere Tage zu warten.
 
In der letzten Aprilwoche 2020 gibt es Anzeichen der Hoffnung, dass der Höhepunkt der Corona-Krise in Europa - oder zumindest in Teilen davon - überschritten sein könnte. Da die Zahl der Neuinfektionen zurückgeht, haben mehrere Länder einige vorsichtige Schritte in Richtung Normalität angekündigt – was immer «normal» in der Zukunft auch bedeuten mag. Es scheint jedoch, dass sich die Situation für die Kirchen und ihre Arbeitsgebiete nicht so schnell ändern wird.
 
In der Schweiz gibt es zum Beispiel drei mit der EMK verbundene Hotels. Da in der Regel eine beträchtliche Anzahl von Gästen aus dem Ausland kommt (im Fall der «Backpackers Villa» in Interlaken kommen sogar 75% der Gäste aus Übersee), ist nicht zu erwarten, dass die Zahl der Reservationen im Laufe der nächsten Wochen dramatisch ansteigen wird, was eine erhebliche finanzielle Herausforderung darstellt. Und für das Hotel «Artos» in Interlaken, das an ein Pflegeheim angeschlossen ist, ist die aktuelle Situation eine Art Gratwanderung: Zwar werden aus wirtschaftlicher Sicht Hotelgäste benötigt, doch muss strikt vermieden werden, dass diese Gäste das Coronavirus einschleppen und dadurch eine äusserst gefährliche Situation für die Heimbewohnenden verursachen.
 
In Zürich (Schweiz) arbeitet eine EMK-Gemeinde bereits seit Jahrzehnten mit Menschen am Rande der Gesellschaft. Zusammen mit anderen Kirchen und Institutionen hat sie ein «Take-Away» aufgebaut, bei dem mehr als 150 Mahlzeiten pro Tag für Bedürftige dieses Stadtteils bereitgestellt werden – Menschen, die besonders unter der gegenwärtigen Situation leiden.
 
In Österreich könnten die Kirchen die Wiederaufnahme ihrer Gottesdienste Mitte Mai in Erwägung ziehen. Es gibt jedoch starke Einschränkungen. Alle Teilnehmenden müssen mindestens 20 m2 Raum haben, und Personen aus verschiedenen Haushalten müssen in einem Abstand von mindestens 2 Metern sitzen. Das Sicherheitspersonal muss Zugangskontrollen durchführen, und die Besucher sind angehalten, Gesichtsmasken tragen. Angesichts dieser Einschränkungen beschloss die Leitung der EMK, die Kirchen nicht bereits im Mai wieder zu öffnen, sondern weiterhin wöchentlich Liturgien und Materialien für gottesdienstliche Feiern zuhause zur Verfügung zu stellen. Zusätzlich wird ein wöchentlicher Online-Gottesdienst für alle Gemeinden der EMK in Österreich angeboten.
 
In der Slowakei hatte die Regierung vor 6 Wochen öffentliche Gottesdienste verboten. Dadurch wurde die Arbeit der EMK jedoch nicht eingestellt. Die Gottesdienste finden nun online statt, gedruckte Predigten und andere Materialien werden an diejenigen verteilt, die keinen Zugang zum Internet haben. Da das Tragen von Gesichtsmasken in der Öffentlichkeit obligatorisch ist, haben mehrere Personen damit begonnen, solche Masken anzufertigen und sie an Menschen aus Risikogruppen (z.B. ältere oder obdachlose Menschen) zu verteilen. Michal Tagaj, ein Mann von 82 Jahren, hat bereits mehr als 80 Masken mit seiner Nähmaschine genäht, damit sie an diejenigen verteilt werden können, die sie benötigen.
 
In Bulgarien setzt die EMK elektronische Mittel ein, um die Menschen zu erreichen, die mit den aussergewöhnlichen Umständen dieser Zeit zu kämpfen haben. Es gibt einen YouTube-Kanal mit 40 Playlists und mehr als 640 Videos (Predigten, Bibelstudien, Morgengebete, Gottesdienste, Vorträge usw.). In den vergangenen 28 Tagen gab es 240% mehr Aufrufe und 230% mehr Sehstunden als zuvor. In der Karwoche (die eine Woche später als im Westen gefeiert wurde) hatte die EMK Programm «Gemeinsam in der Karwoche» organisiert. Jeden Tag hatten Menschen im ganzen Land die Gelegenheit, an einem gemeinsamen Gottesdienst teilzunehmen, der von einer bestimmten Ortsgemeinde organisiert worden war. Sowohl in der Slowakei als auch in Bulgarien, aber auch in anderen Ländern Mittel- und Südeuropas, umfassten die Gottesdienste in der Karwoche auch eine Online-Feier des Abendmahls.
Obwohl die EMK in Bulgarien aufgrund der aktuellen Situation selber vor finanziellen Herausforderungen steht, wurde beschlossen, den langjährigen Mietern, die derzeit Schwierigkeiten haben, ihre Geschäfte zu führen, die Miete für einen Monat zu erlassen.
Und während die Gefangenen-Arbeit, eine der wichtigsten diakonischen Tätigkeiten der EMK an mehreren Orten in Bulgarien, derzeit starken Einschränkungen unterliegt, erwartet Superintendent Daniel Topalski, dass diese Arbeit bald wieder vollständig aufgenommen werden kann.
 
Zwar gibt es viele ermutigende Berichte über die Reaktion der EMK in den verschiedenen Ländern Mittel- und Südeuropas auf die aktuelle Krise, doch ändert dies nichts an der Tatsache, dass insbesondere bestimmte Bevölkerungsgruppen auch mit enormen Problemen konfrontiert sind. Viele ältere Menschen sind zum Beispiel in grosser Not, weil ihre Kinder und Enkelkinder in andere Länder abgewandert sind und sie nun ums Überleben kämpfen müssen, wobei sie von den staatlichen Behörden kaum Unterstützung erhalten. Aber auch die Roma, die oft am Rande der Gesellschaft leben, sind in diesen Tagen noch stärker herausgefordert als sonst schon. Aufgrund ihrer schlechten Lebensbedingungen (z.B. sehr enge Platzverhältnisse für überdurchschnittlich kinderreiche Familien) sind sie in virologischer Hinsicht besonders gefährdet. Anstatt Hilfe zu erhalten, werden sie jedoch oft diskriminiert oder erfahren sogar unverblümten Rassismus und Hass. Hinzu kommt, dass viele Roma kein Einkommen haben, da sie weder Plastikflaschen oder Altmetall sammeln noch Strassenhandel (Lebensmittel, Haushaltsgegenstände, Blumen) betreiben dürfen. Die Kinder hingegen sind von der Schliessung der Schulen besonders betroffen, da sie aufgrund fehlender technischer Ausstattung nicht an Online-Unterrichtsstunden teilnehmen können. Die EMK versucht in mehreren Ländern, den Roma zu helfen, z.B. indem sie jenen Roma Lebensmittel bringt, die ihre Dörfer nicht verlassen dürfen - die aber in diesen Dörfern keine Geschäfte haben, in denen sie kaufen könnten, was sie zum Überleben benötigen...
 
Viele Menschen der EMK in Mittel- und Südeuropa sehnen sich nach besseren Tagen. Doch bis diese neuen Tage anbrechen, warten sie nicht einfach ab, sondern sind sie aktiv und in grosser Treue den Menschen in ihrer Nachbarschaft nahe – und geben so auch die Osterbotschaft weiter, dass es das Leben ist, welches das letzte Wort hat.
 
Urs Schweizer
Assistent von Bischof Patrick Streiff