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«Viele wollen nahe bei der Grenze bleiben»

Die Situation in den Ländern nahe der Grenze zur Ukraine verändert sich immer wieder. Viele Flüchtlinge hoffen auf eine rasche Rückkehr. Die Verantwortlichen der EMK richten ihre Hilfsaktionen jedoch darauf aus, dass die Flüchtlinge für eine längere Zeit bleiben werden.
 
Die Zahl der Flüchtlinge, die aus der Ukraine nach Europa kommen, ist derzeit leicht rückläufig. Ein Grund dürfte sein, dass die russische Armee ihre Angriffe stärker auf den Süden des Landes konzentriert. In den vergangenen Tagen vermeldeten verschiedene Medien gar, dass eine grössere Zahl von Flüchtlingen wieder in die Ukraine zurückkehre.
 
Slawomir Rodaszynski, Superintendent der EMK in Polen, bestätigt: «Viele Flüchtlinge wollen so nahe wie möglich an der Grenze bleiben, um so schnell wie möglich zurückkehren zu können, wenn sich die Lage in der Ukraine verbessert hat.» Doch er weiss aus Gesprächen mit Flüchtlingen auch, dass sich Ehemänner und Väter, die in der Ukraine geblieben sind, um ihre geflüchteten Familienmitglieder sorgen und sie auffordern: «Bitte bleibt in Polen und kehrt noch nicht zurück.»
 
Dass die Zahl der Flüchtlinge zurückgegangen ist, bestätigen auch die beiden Koordinatorinnen für die Arbeit mit Flüchtlingen, Sarah Putman aus Rumänien und Pfarrerin Jana Krizova aus Tschechien. Letztere sagt: «Die Menschen kommen immer noch, aber die meisten von ihnen wollen länger bleiben als nur ein paar Tage». Dauerhafte Lösungen für Unterkünfte zu finden und damit verbundene Anliegen wie Schulplätze für die Kinder sowie Arbeitsplätze für die Erwachsenen haben daher an Bedeutung gewonnen. Immer mehr EMK-Gemeinden bieten Sprachkurse an oder planen dies für die nahe Zukunft.
 
Jessica Morris-Ivanova, Pfarrerin in Schumen, Bulgarien, weist ausserdem auf eine neue Schwierigkeit hin, die sich für Bulgarien abzeichnet: Der bulgarische Staat habe viele Menschen aus der Ukraine unkompliziert in Hotels und Ferienanlagen untergebracht, sagt sie. Doch wenn in weniger als einem Monat die Sommersaison beginnt, würden diese Unterkünfte anders gebraucht. Für zahlreiche Flüchtlinge müssten daher zwingend neue Lösungen gefunden werden.
 
An vielen Orten wird den Flüchtlingen Hilfe und die je notwendige Unterstützung angeboten. «Wir freuen uns sehr, dass wir in einigen unserer kirchlichen Räume ein ukrainisches Tageszentrum eröffnen konnten», schreibt Jessica Morris-Ivanova auf Facebook. Das Spektrum der Hilfsangebote, das Flüchtlinge hier finden, ist breit. Es würden Sprachkurse, Kunsttherapie, ein Ort an dem Kaffee und Tee getrunken werden kann, Lebensmittel und Hygienepakete, gebrauchte Kleidung und kostenlose Kleider-Waschgelegenheit angeboten, schreibt die Pfarrerin. Möglich ist dieses Angebot, weil viele Personen zusammenarbeiten. Flüchtlinge, die bereits vor Ort sind, hätten geholfen. «Die Pfadfinder organisieren Aktivitäten für Kinder. Der Rotary Club hat Lebensmittel und Küchenutensilien mitgebracht.»
 
Die methodistische Gemeinde in Sevlievo (Bulgarien) hat Treffen organisiert, bei denen die Ukrainerinnen und Ukrainer aus der Region eine Möglichkeit erhalten, Kontakte zu knüpfen und Gemeinschaft zu erleben.
 
Weiterhin stellen EMK-Gemeinden auch Transporte von Hilfsgütern in die Ukraine zusammen – so zum Beispiel in Polen, Tschechien und Rumänien.
 
Die EMK in Ungarn unterstützt das Angebot einer Küche in Kaszony (Ukraine). Dort erhalten 60 Menschen regelmässig eine warme Mahlzeit.
 
Karel Nyerges, Direktor des methodistischen Diakoniewerks in Tschechien, sagt, bei den Flüchtlingen aus der Ukraine, die in festen Wohneinrichtungen leben, seien bislang noch keine psychologischen Probleme zutage getreten. Seiner Beobachtung nach liege das vor allem daran, «dass sie sich noch mit den Fragen beschäftigen, die mit dem Aufenthalt in unserem Land zusammenhängen. Daher treten persönliche Probleme in den Hintergrund.» Viele Flüchtlinge würden hoffen, dass sich die Lage in der Ukraine schnell ändert und sie in ihre Heimat zurückkehren können. Karel Nyerges ist dagegen überzeugt: «Wir müssen damit rechnen, dass diese Menschen den Ernst ihrer Lage erkennen und dann psychologische oder psychiatrische Hilfe brauchen.» Für ihn besteht eine Priorität darin, diese Menschen schrittweise in die christlichen und lokalen Gemeinschaften zu integrieren, damit sie sich sicher und akzeptiert fühlen. «Unser Ziel ist es, diese Menschen dabei zu unterstützen, von uns unabhängig zu werden und ein erfülltes Leben führen zu können.»
 
Autor: Sigmar Friedrich, Zürich