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Können wir Beziehungen höher gewichten als Regeln?

(UMNS) Die Einheit der Kirche ist ein Auftrag des Evangeliums. Sie wird in der Verfassung der Evangelisch-methodistischen Kirche festgehalten (Book of Discipline 2016 ¶6). Sie wird auch dort erwähnt, wo es um die Leitungsverantwortung der Bischöfe geht. (¶414.6). Einheit ist deutlich zu unterscheiden von der blossen Absicht, eine Organisation aus wirtschaftlichen Gründen – so wichtig diese heute zu sein scheinen – zusammenzuhalten. Aber was ist die Essenz von kirchlicher Einheit?
Das Neue Testament spricht auf unterschiedliche Weise von Einheit. Zuerst lesen wir in den vier Evangelien von den Lehren und den Gebeten Jesu. Das Thema „Einheit“ wird weiter behandelt in der frühen Entwicklung der Kirche, wie sie in der Apostelgeschichte beschrieben ist und auch in den Briefen von Paulus und anderen Autoren. Solche Texte öffnen unterschiedliche Perspektiven auf das Thema und zeigen verschiedene Seiten von Einheit. Aber etwas bleibt überall gleich: es gibt immer einen klaren Bezug zu Jesus, dem Christus. Das herauszuheben mag selbstverständlich erscheinen. Aber in vielen früheren und aktuellen Diskussionen über die Einheit der Kirche ist das gar nicht offensichtlich.
In den ersten Jahrhunderten der christlichen Kirche war der Kampf um die Einheit der Kirche geprägt von Auseinandersetzungen über Lehrfragen. Es ging darüber, wie der Eine, an den Christen glauben, verstanden und gelehrt werden soll. Aus diesen Auseinandersetzungen entstanden die Glaubensbekenntnisse – mehrere davon sind auch heute noch Teil von Gebeten und Liturgien, die die verschiedenen Kirchen in der ökumenischen Bewegung gemeinsam haben. Alle diese Glaubensbekenntnisse drücken ganz grundlegend den Glauben an dreieinen Gott aus. Sie enthalten keine ethischen Themen – sei das nun gut oder schlecht.
Ein wichtiger Teil der Geschichte der Einheit - beziehungsweise eher der Uneinheit - der Kirche zeigte die Schwächen solcher Lehrbekenntnisse auf. Menschen aus den verschiedenen Kirchen bekämpften und töteten einander in dem Versuch, ihre Glaubensgrundlage zu verteidigen. Diese Erfahrung von Glaubenskriegen gab besonders in Westeuropa neuen antiklerikalen Bewegungen Aufschwung. Spätestens als die wesleyanische Bewegung sich in England auszubreiten begann, wurde offensichtlich: Worauf es in Christus Jesus wirklich ankommt, ist ein Glaube, der in der Liebe tätig ist (Galater 5,6) — dies war für Wesley der Schlüssel zum Verständnis der Bibel.
Im Lauf der Geschichte bewahrten die römischen Katholiken ein besseres Verständnis für die Einheit der Kirche und waren fähig, über die Jahrhunderte eine weltweite Kirche zu bauen, die die meisten Erneuerungsbewegungen integrieren konnte – solange sie nicht die päpstliche Autorität in Frage stellten.
Protestanten hingegen haben eine lange Tradition darin, sich über fast jede Frage zu trennen und aufzusplittern. Häufig interpretieren sie Einheit als eine rein geistliche Grösse, was den Vorteil hat, dass jede Gruppe ihre eigene Macht und Autorität behalten kann.
Methodisten waren da nicht besser als andere Protestanten. Wir haben unsere eigene Geschichte von Trennungen, die erst Mitte des 20. Jahrhunderts aufhörte, als man wieder stärker begann, die Einheit zu suchen.
Wenn ich als Kirchenhistoriker auf die Geschichte von Auseinandersetzungen und Schismen der vergangenen Jahrhunderte blicke, sehe ich viele Situationen, in denen die Gegner sich immer tiefer in einen Konflikt verstrickten, der alle gemeinsamen biblischen Glaubensgrundlagen, die man teilte, überschattete. Und in den seltenen Fällen, in denen ich eine Auseinandersetzung darüber, was die wahre Kirche ist, als unausweichlich beurteile, erkenne ich in der Art und Weise, wie der Konflikt von beiden Seiten ausgetragen wurde, keinen christlichen Geist.
In der Gegenwart und mit Blick auf die Zukunft bete ich darum, dass mein Wissen um Bibel und Geschichte meinen Dienst als Bischof erleuchtet. Selbstverständlich lebe ich in einer konkreten Situation und als Bischof in einem Gebiet, das zu den diversifiziertesten der ganzen EMK gehört. Es reicht von Nordafrika zu einigen westeuropäischen Ländern und von Polen im Norden bis zum Balkan im Süden von Mitteleuropa.
Was also macht für mich aus einer wesleyanischen Perspektive die Einheit der Kirche aus?
Es ist viel mehr das Zentrum, Jesus Christus, auf den wir vertrauen mit unserem ganzen Leben, als eine präzise lehrmässige Aussage über diesen Glauben. Es ist viel stärker die Bereitschaft, in all unserem Verhalten in das Bild Jesu Christi erneuert zu werden, als ein präziser moralischer Code, der gute und böse Handlungen definiert. Es ist viel mehr das andauernde Bemühen, mit dem Anderen als einem Menschen, der nach dem Bild Gottes geschaffen wurde, in Beziehung zu bleiben, als ein definiertes Set von Regeln, das die korrekte Beziehung beschreibt.
Ich weiss, dass das im Blick auf die vielen Fragen, die uns als Denomination umtreiben, keine klare Antwort ist. Aber diese Überzeugung erinnert mich andauernd an das, was in meinem Dienst im Zentrum bleiben muss, und es ermutigt mich, diese Reise des langen Konferierens auf eine Art und Weise fortzusetzen, dass andere Menschen daran erkennen können, dass wir Jüngerinnen und Jünger Jesu Christi sind. Das ist für mich der Auftrag des Evangeliums.
 
Bischof Patrick Streiff, Zentralkonferenz von Mittel- und Südeuropa