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Hilfe für Flüchtlinge braucht einen langen Atem

Egal ob deren Weg weiterführt oder sie bleiben wollen: Zusammen mit staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen helfen Mitglieder und Freunde der EMK Flüchtlingen aus der Ukraine. An Bedeutung gewonnen hat die Aufgabe, Flüchtlinge zu unterstützen, die längere Zeit in den jeweiligen Ländern bleiben wollen.
 
«Schont eure Kräfte! Der Weg, den wir gehen, wird lang sein», sagt Ivana Prochazkova, Superintendentin der EMK in Tschechien, im Blick auf die Hilfsaktionen für Flüchtlinge aus der Ukraine. Selbst wenn sich die Hoffnung auf Frieden in der Ukraine schon bald erfüllen sollte, werden viele Flüchtlinge noch monatelang in den Ländern bleiben, in denen sie nach dem Verlassen ihrer Heimat Zuflucht gefunden haben.
 
Über vier Millionen Menschen haben die Ukraine laut UNHCR bereits verlassen. Über sechs Millionen seien im Land selbst auf der Flucht. Schätzungsweise rund 13 Millionen seien in Gebieten gestrandet, die durch Kriegshandlungen betroffen seien, und könnten diese aktuell nicht verlassen. «Auf der Grundlage der Erfahrungen der letzten Wochen tun Männer und Frauen der EMK ihr Bestes, um ihren ‹neuen Freunden› und ‹Gästen›, wie die Flüchtlinge von den Verantwortlichen in Rumänien und Polen genannt werden, zu helfen», schreibt Urs Schweizer. Der Assistent von Bischof Patrick Streiff gibt aus Berichten der Ver­antwortlichen in Bulgarien, Tschechien, Ungarn, Polen, Rumänien und der Slowakei regelmässig einen kurzen Überblick über die Hilfsaktionen der EMK in diesen Ländern.
 
Zahlreiche Flüchtlinge setzen ihre Reise fort, nachdem sie einige erholsame Nächte in einem Land verbracht haben, das direkt oder indirekt an die Ukraine grenzt – so jedenfalls schildern die Verantwortlichen in Ungarn und der Slowakei die Situation. Etwas anders stellt sich die Lage in Polen und Tschechien dar. Andrzej Malicki, Leitender Superintendent der EMK in Polen, schätzt, dass etwa 60% der mehr als zwei Millionen Flüchtlinge, die bisher in sein Land geflohen sind, bleiben wollen. Ähnlich sind die Beobachtungen in Tschechien.
 
Für die Hilfsangebote staatlicher, kirchlicher und anderer nichtstaatlicher Organisationen bedeutet das, dass neben der Nothilfe für Flüchtlinge auf ihrer Weiterreise die Betreuung derjenigen, die länger bleiben, immer wichtiger wird. So bieten etwa EMK-Gemeinden in Kielce und Elk (Polen) oder Prag (Tschechien) Sprachkurse in der jeweiligen Landessprache für Menschen aus der Ukraine an.
 
Die Gemeinde in Prag-Horni Pocernice (Tschechien) bezieht zudem ukrainische Kinder in die bestehenden Aktivitäten eines durch das methodistische Diakoniewerk in Tschechien betriebenen Heims ein. Zugleich unterstützen Leute aus dieser Gemeinde ukrainischen Frauen auch bei der Suche nach Arbeit.
 
Für Flüchtlinge, die weiter Richtung Westen reisen wollen, bieten zahlreiche Kirchgemeinden auch weiterhin Unterkünfte in ihren eigenen oder durch sie bereitgestellten Räumen an. In Ungarn wurde ein Ort eingerichtet, an dem Flüchtlingen Wäsche waschen und kostenlosen Zugang zum Internet erhalten können.
 
Die EMK unterstützt nicht nur die Flüchtlinge, die in die verschiedenen Länder kommen. Dank langjähriger Kontakte und eines neu ausgebauten Netzwerks der Zusammenarbeit mit methodistischen Gemeinden in der Ukraine konnten bereits mehrere Transporte mit Hilfsgütern in die Ukraine geschickt werden. Engagierte Helfer aus Polen, Rumänien und Tschechien haben auf diese Weise Medikamente, Lebensmittel, Spielsachen, Windeln, Bettwaren und anderes in die Ukraine gebracht.
 
In Pulawy (Polen) sind unter den aufgenommenen Flüchtlingen auch eine methodistische Pastorin und ein Pastor sowie ein halbes Dutzend Personen einer Methodistengemeinde in der Ukraine. Grundsätzlich spielten Religions- oder Denominationszugehörigkeit jedoch keine Rolle, sagen die Verantwortlichen. «Wer Hilfe benötigt und sich an die EMK wendet, bekommt diese Hilfe, wenn immer möglich.»
 
In einer weiteren Hinsicht zeigt sich ebenfalls eine bemerkenswerte Entwicklung: Frauen, Männer, Jugendliche und Kinder aus der Ukraine schlafen nicht «nur» in Kirchen- oder Gästezimmern, sondern sie nehmen auch an Gottesdiensten teil oder werden in anderer Hinsicht aktiv». So hilft zum Beispiel in Ungarn ein baptistischer Missionar, der aus der Ukraine geflüchtet ist, bei Übersetzungsarbeiten und der seelsorgerlichen Begleitung der Flüchtlinge. Ctirad Hruby, Pastor der EMK-Gemeinde in Mikulov (Tschechien), erzählt das ermutigende Beispiel zweier junger Christinnen aus der Ukraine. Wenige Tage nachdem diese in Mikulov angekommen seien, leiteten sie nun einen neu eröffneten Kinderclub für ukrainische Kinder.
 
Das methodistische Netzwerk mit Gemeinden der einen, weltweiten Kirche in verschiedenen Ländern kann gerade in dieser herausfordernden Situation eine wertvolle Unterstützung für die Hilfsaktionen sein. Ein Newsletter der EMK in Tschechien erzählt dafür das Beispiel zweier Familien, die von Kyiv nach Ungarn gekommen waren. Auf Bitte des methodistischen Superintendenten hin wurden die vier Erwachsenen und sechs Kinder auf ihrer Weiterreise Richtung Schweden als nächste Station in der EMK-Gemeinde Slany (Tschechien) untergebracht.
 
Auch noch in einer anderen Hinsicht kommt das methodistische Netzwerk zum Tragen. Gemäss Superintendentin Ivana Prochazkova gibt es in der EMK in Tschechien viele Freiwillige, die zu helfen bereit sind. Die Herausforderung ist jedoch, die für die Hilfe notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen. Die Verantwortlichen seien deshalb sehr dankbar für die Spenden, die in Westeuropa und den USA zusammengetragen würden.
 
«Wir befinden uns in einer Situation, die unsere Schwächen, aber auch unsere Stärken offenbart», schreibt Karel Nyerges, Direktor des methodistischen Diakoniewerks in Tschechien. Aktuell werde von allen Beteiligten «bedingungslose Akzeptanz und gegenseitige Toleranz» erwartet, sagt Nyerges. Gerade im Blick auf ein mittel- und längerfristiges Engagement gelte es, diese Haltungen zu bewahren. Darum fordert er auf: «Lasst uns versuchen, dafür zu sorgen, dass diese Tugenden unter uns bleiben, auch wenn im Umfeld bereits andere Gedanken und Meinungen zunehmen.»
 
Autor: Sigmar Friedrich, Zürich